Mittlerweile stellen sich bereits bei kleinen Unternehmen im Falle der Insolvenz eine Reihe schwieriger Fragen hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit. So findet sich bei nahezu jedem Unternehmen in irgendeiner Weise ein internationaler Bezug. Dies wirft nicht zuletzt für die Insolvenzanfechtung einige knifflige Fallstricke auf. Wo kann der Insolvenzverwalter etwaige Anfechtungsansprüche geltend machen, wenn der Anfechtungsgegner im Ausland sitzt? Art. 3 EuInsVO regelt ausdrücklich die Zuständigkeit des für die Eröffnung des Verfahrens kompetenten Gerichts, lässt allerdings expressis verbis die Frage der Zuständigkeit hinsichtlich weitere das Insolvenzverfahren betreffender Ansprüche offen. Der EUGH hat hierzu in seiner Entscheidung vom 12.02.2009 für Rechtssicherheit gesorgt und die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Insolvenzanfechtungen, auch gegen ausländische Firmen, beim Insolvenzgericht geltend zu machen. Insbesondere für Insolvenzverwalter eine höchst positive Entscheidung.
EuGH, Urteil vom 12. 2. 2009 – C-339/07
Tenor der Entscheidung:
Art. 3 I der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind.
Zum Sachverhalt:
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 I der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren (im Folgenden: EuInsVO; ABlEG Nr. L 160, S. 1) und Art. 1 II lit. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO; ABlEG 2001 Nr. L 12, S. 1). Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Seagon als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichboden Supermärkte GmbH (im Folgenden: Frick) und der Deko Marty Belgium NV (im Folgenden: Deko) wegen Rückzahlung von 50 000 Euro, die Frick an Deko gezahlt hatte.
Am 14. 3. 2002 überwies Frick, die ihren Sitz in Deutschland hat, 50 000 Euro auf ein bei der KBC-Bank in Düsseldorf geführtes Konto von Deko, einer Gesellschaft mit Sitz in Brüssel. Auf Grund eines am 15. 3. 2002 von Frick gestellten Antrags wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen durch das AG Marburg am 1. 6. 2002 eröffnet. Mit einer beim LG Marburg (Deutschland) eingereichten Klage verlangte Herr Seagon als Insolvenzverwalter von Frick – im Wege einer auf die Insolvenzdes Schuldners gestützten Anfechtungsklage – von Deko die Rückzahlung des genannten Betrags.
Das LG Marburg hat die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, dass es nicht international zuständig sei. Nach erfolgloser Berufung (OLG Frankfurt a. M., NZI 2006, 648) legte Herr Seagon Revision beim BGH ein. Unter diesen Umständen hat der BGH (NZI 2007, 538 = EuZW 2007, 582 = NJW 2007, 2512 L) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH seine Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Der EuGH hat wie aus dem Leitsatz ersichtlich entschieden.
Aus den Gründen:
Die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen betreffen die internationale Zuständigkeit der Gerichte bei Insolvenzanfechtungsklagen.
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Insolvenzanfechtungsklage im deutschen Recht durch die §§ 129ff. InsO vom 5. 10. 1994 (BGBl I 1994, 2866) geregelt wird. Nur der Insolvenzverwalter kann diese Klage im Fall der Insolvenz erheben, und zwar ausschließlich zur Wahrnehmung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. Nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen anfechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger schädigen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anfechtungsklage verfolgt somit das Ziel, die Aktiva des Unternehmens, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, zu vermehren. Zu prüfen ist, ob Anfechtungsklagen in den Anwendungsbereich von Art. 3 I EuInsVO fallen. Hierbei ist eingangs daran zu erinnern, dass der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Übereinkommen vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABlEG 1972, Nr. L 299, S. 32) entschieden hat, dass eine Klage, die derjenigen glich, die im Ausgangsverfahren in Rede steht, sich auf ein Konkursverfahren bezieht, da sie unmittelbar aus diesem hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens hält (vgl. EuGH, Urt. v. 22. 2. 1979 – 133/78, Slg. 1979, I-733 = BeckRS 2004, 71542 = NJW 1979, 1771 L Rdnr. 4 – Gourdain/Nadler). Eine Klage, die derartige Merkmale aufweist, fällt daher nicht in den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens. Auf eben dieses Kriterium wird im sechsten Erwägungsgrund der EuInsVO zur Abgrenzung ihres Gegenstands abgestellt. So sollte sich nach diesem Erwägungsgrund die genannte Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar auf Grund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. In Anbetracht dieser Absicht des Gesetzgebers und der praktischen Wirksamkeit der genannten Verordnung ist ihr Art. 3 I dahin auszulegen, dass er dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für Klagen, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch eine internationale Zuständigkeitzuweist. Eine solche Bündelung sämtlicher sich unmittelbar aus der Insolvenz eines Unternehmens ergebender Klagen vor den Gerichten des für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Mitgliedstaats entspricht offenkundig auch dem im zweiten und im achten Erwägungsgrund der EuInsVO genannten Zweck der Verbesserung der Effizienz und der Beschleunigung der Insolvenzverfahren. Diese Auslegung wird auch durch den vierten Erwägungsgrund der EuInsVO bestätigt, demzufolge im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarkts verhindert werden muss, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (forum shopping). Die Möglichkeit, dass verschiedene Gerichte für in unterschiedlichen Mitgliedstaaten erhobene Anfechtungsklagen zuständig wären, würde darauf hinauslaufen, die Verfolgung eines derartigen Ziels zu schwächen. Schließlich findet die Auslegung von Art. 3 I , wie in Rdnr. 21 des vorliegenden Urteils aufgeführt, in Art. 25 I EuInsVO ihre Bestätigung. Denn Unterabs. 1 der letztgenannten Bestimmung verpflichtet zur Anerkennung der Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens, die von einem Gericht erlassen wurden, dessen Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens nach Art.16 EuInsVO anerkannt wird, das heißt von einem nach Art. 3 I EuInsVO zuständigen Gericht. Gem. Unterabs. 2 von Art. 25 I EuInsVO gilt jedoch dessen Unterabs. 1 auch für Entscheidungen, die unmittelbar auf Grund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Diese Bestimmung räumt mit anderen Worten die Möglichkeit ein, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren gem. Art. 3 I EuInsVO eröffnet worden ist, auch über eine Klage von der Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden befinden. In diesem Zusammenhang bedeutet die Wendung „auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden”, die den letzten Satzteil von Art. 25 I Unterabs. 2 EuInsVO bildet, nicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für die fragliche Art von Klagen hätte ausschließen wollen. Diese Wendung bedeutet insbesondere, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, das örtlich und sachlich zuständige Gericht zu bestimmen, das nicht zwangsläufig dasjenige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sein muss. Darüber hinaus bezieht sich diese Wendung auf die in Art. 16EuInsVO vorgesehene Anerkennung von Entscheidungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 I EuInsVO dahin auszulegen ist, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind. In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.