Italienische Steuerfahndung im Ausland: Ein Risiko für deutsche Unternehmen mit italienischen Gesellschaftern?

Deutsche Unternehmen mit italienischen Gesellschaftern oder Geschäftsführern geraten zunehmend ins Visier der italienischen Steuerbehörden – selbst wenn sie ausschließlich in Deutschland tätig sind. Dieses Risiko kann insbesondere dann relevant werden, wenn die italienische Finanzverwaltung zu dem Ergebnis kommt, dass ein Unternehmen faktisch aus Italien heraus geführt wird. In solchen Fällen kann das italienische Finanzamt die deutsche Gesellschaft rückwirkend der Steuerpflicht in Italien unterwerfen.

Ein aktuelles Urteil des italienischen Kassationsgerichtshofs vom 2. Februar 2025 (Nr. 2458) zeigt beispielhaft, welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen und wie weit eine extensive Auslegung des Begriffs der Unternehmensführung reichen kann. Im Zentrum steht der Vorwurf der sogenannten „esterovestizione“, also der formalen Ansiedlung einer Gesellschaft im Ausland bei gleichzeitiger tatsächlicher Leitung aus Italien. Bislang betrafen solche Konstellationen vor allem Gesellschaften mit Sitz in klassischen Offshore-Staaten. Diese Kriterien werden nun zunehmend auch auf Gesellschaften (und Betriebsstätten) mit Sitz in kontinentaleuropäischen Staaten angewendet.

Der entschiedene Fall betraf eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, die vollständig von einer italienischen Kommanditgesellschaft kontrolliert wurde, welche im Bereich der Windenergieberatung tätig ist. Die italienische Steuerbehörde unterwarf die niederländische Gesellschaft rückwirkend für das Jahr 2007 der vollen italienischen Steuerpflicht. Zur Begründung führte sie an, dass die tatsächliche Leitung der Gesellschaft von Italien aus erfolgt sei.

Zwar war die Gesellschaft formal in den Niederlanden registriert, doch nach Auffassung der Behörde wurde sie faktisch aus Italien gesteuert. Die benannten Geschäftsführer seien lediglich Erfüllungsgehilfen gewesen. Sämtliche wesentlichen Entscheidungen seien in Italien getroffen worden. Das Kassationsgericht bestätigte diese Sichtweise und stellte fest, dass operative Entscheidungen – etwa zur Geschäftspolitik, der Auswahl und Steuerung von Vertragspartnern, finanziellen Dispositionen sowie laufenden Verwaltungsfragen – ausschließlich in Italien getroffen worden seien. Die formale Sitzverlegung in die Niederlande sei allein zu steuerlichen Zwecken erfolgt, ohne dass dort die für eine eigenständige Geschäftsführung erforderliche Struktur bestanden habe. Ausschlaggebend sei, dass sämtliche unternehmerisch relevanten Entscheidungen nachweislich von den Gesellschaftern der italienischen Muttergesellschaft vorbereitet und in Italien getroffen worden seien, während die niederländische Gesellschaft über keinerlei eigenständige Entscheidungsorgane verfügt habe.

Während die erste Instanz die Sichtweise der Finanzverwaltung bestätigte, wurde das Urteil durch das Berufungsgericht aufgehoben. Ein zentrales Argument der Gesellschaft war, dass ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Nach damaliger Gesetzeslage war eine vorherige Anhörung jedoch nicht erforderlich, sofern der Steuerbescheid – wie im vorliegenden Fall – ausschließlich auf Aktenlage ohne Vor-Ort-Prüfung erlassen wurde. Das Gericht bestätigte deshalb die formelle Richtigkeit des Verfahrens. Zwar wurde die Regelung zur Anhörungspflicht zwischenzeitlich geändert, für den streitgegenständlichen Fall galt jedoch noch die alte Fassung.

Der Kassationshof hatte somit im Wesentlichen über die Frage zu entscheiden, ob eine sog. „esterovestizione“ vorlag. Die italienische Rechtsprechung versteht darunter eine Gesellschaft, die zwar formal im Ausland registriert ist, tatsächlich aber aus Italien geführt wird. Dies wird insbesondere dann angenommen, wenn es keine wirtschaftlich tragfähigen Gründe für den ausländischen Sitz gibt und nachweislich die maßgeblichen Entscheidungen in Italien getroffen werden. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Kassationshofs kommt es dabei nicht auf den formalen Sitz an, sondern auf die tatsächlichen Gegebenheiten. Dabei ist die Beweisführung besonders relevant. Es ist nicht erforderlich, einen absoluten Nachweis zu führen. Vielmehr genügt eine Gesamtschau klarer und übereinstimmender Indizien. Eine ausländische Ansässigkeitsbescheinigung reicht nicht aus, um einen Gegenbeweis zu erbringen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das Urteil seine Argumentation im Wesentlichen auf Art. 73 Abs. 5-bis des italienischen Einkommensteuergesetzes (TUIR) stützt. Dieser sieht eine gesetzliche Vermutung der Steuerpflicht in Italien vor, wenn eine ausländische Gesellschaft eine italienische Gesellschaft kontrolliert und selbst von in Italien ansässigen Personen kontrolliert wird. Im konkreten Fall lag diese Konstellation jedoch nicht vor, da die ausländische Gesellschaft keine italienische Gesellschaft kontrollierte, sondern umgekehrt selbst kontrolliert wurde. Aus rechtssystematischer Sicht hätte daher eher Art. 73 Abs. 3 TUIR Anwendung finden müssen, der die Steuerpflicht aus der tatsächlichen Geschäftsleitung in Italien ableitet. Die Berufung auf Art. 73 Abs. 5-bis erscheint vor diesem Hintergrund zumindest fragwürdig, ändert jedoch nichts an der Substanz der Entscheidung.

Trotz der wohl unscharfen dogmatischen Begründung entfaltet das Urteil erhebliche praktische Relevanz. Der italienische Kassationsgerichtshof hat unmissverständlich klargestellt, dass eine Steuerpflicht in Italien auch dann begründet werden kann, wenn die Gesellschaft ihren formalen Sitz im Ausland hat und dort über keine substanzielle Geschäftsleitung verfügt. Entscheidend ist allein, ob die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen – etwa zur operativen Geschäftspolitik, zur Auswahl von Vertragspartnern oder zur finanziellen Ausrichtung – tatsächlich von in Italien ansässigen Personen getroffen werden. Dies gilt auch für Holding- oder Konzernstrukturen, bei denen etwa deutsche Tochtergesellschaften oder Holdings formell eigenständig agieren, ihre strategische Steuerung jedoch faktisch aus Italien erfolgt.

Das Urteil hat Folgen weit über Italien hinaus. Auch deutsche Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften oder Holdingstrukturen müssen aufmerksam sein – insbesondere dann, wenn sie vollständig von italienischen Unternehmen oder Familien gehalten werden und ein Teil der administrativen und/oder strategischen Entscheidungen nachweislich aus Italien heraus getroffen wird. Dies betrifft insbesondere operative Entscheidungen der Geschäftsführung, aber auch vertragliche, finanzielle oder organisatorische Steuerungsvorgänge, etwa bei Finanzierungsfragen, der Geschäftsentwicklung oder der Auswahl wesentlicher Vertragspartner. Die vorliegende Entscheidung macht deutlich, dass auch formal unbedenkliche Strukturen bei faktischer Entscheidungshoheit aus dem Ausland einer kritischen Prüfung unterzogen werden können. Unternehmen sollten daher ihre internen Prozesse, Entscheidungsabläufe und die Dokumentation von Leitungsfunktionen rechtzeitig prüfen, um steuerliche Risiken in Italien frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.