Eine mögliche Durchgriffshaftung im Insolvenzfall: Die „Super Società di Fatto“ im italienischen Recht
Die italienische Rechtsprechung hat im Wege der Rechtsfortbildung ein interessantes Rechtsinstitut zur Durchgriffshaftung gegenüber faktischen Gesellschaftern entwickelt: die sog. „Super Società di Fatto“. Dieses Konzept ermöglicht es, Dritte – insbesondere im Insolvenzfall – haftbar zu machen, die faktisch an einer Gesellschaft partizipieren, ohne formal Teil von ihr zu sein. Die italienische Rechtsprechung hat bereits in der Vergangenheit verschiedene Modelle der Durchgriffshaftung gegenüber Gesellschaftern und faktischen Geschäftsführern geschaffen. Diese Entwicklung wurde in den letzten Jahren fortgeführt und auf faktische Gesellschafter ausgedehnt, was einen genaueren Blick auf diese Rechtsfigur rechtfertigt.
Im Rahmen von Insolvenzen stellt sich oft die Frage, ob und in welchem Umfang bestehende Forderungen noch durchgesetzt werden können. In den meisten Fällen müssen sich Gläubiger mit einer anteiligen Befriedigung zufriedengeben oder sogar den vollständigen Forderungsausfall hinnehmen. Das italienische Recht sieht zwar verschiedene Möglichkeiten der Durchgriffshaftung gegenüber Gesellschaftern und Geschäftsführern vor, die gesetzlichen Anforderungen sind jedoch regelmäßig sehr hoch.
In den letzten Jahren hat die Rechtsprechung mit der sog. „Super Società di Fatto“ (wörtlich: „tatsächliche Super-Gesellschaft“) eine bislang wenig bekannte, aber bedeutende Rechtsfigur entwickelt. Ausgangspunkt ist die Frage, wie Gesellschaften und natürliche Personen haftbar gemacht werden können, die zwar formal nicht direkt an der (insolventen) Schuldnerin beteiligt sind, aber faktisch mit ihr als wirtschaftliche Einheit verbunden waren. Die italienische Rechtsprechung hat bereits eine Haftung faktischer Geschäftsführer und beherrschender faktischer Konzerne anerkannt. Ein ähnlicher Ansatz wurde nun auf die „Super Società di Fatto“ ausgeweitet.
Was versteht man unter einer „Super Società di Fatto“?
Die „Super Società di Fatto“ beschreibt eine nicht formell gegründete Gesellschaft, die jedoch aufgrund ihres Auftretens und ihrer Handlungen wie eine Gesellschaft zu behandeln ist. Entscheidend ist das Vorliegen einer faktischen Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten mit einem gemeinsamen wirtschaftlichen Ziel.
Im Wesentlichen basiert diese Rechtsfigur auf drei Kernelementen:
- Dauerhaftes gemeinsames Handeln: Die Beteiligten verfolgen ein gemeinsames wirtschaftliches Interesse.
- Erkennbare Außenwirkung: Nach außen tritt die Gruppe wie eine Gesellschaft auf, z. B. durch gemeinsames Agieren im Geschäftsverkehr.
- Koordinierte Geschäftsführung: Es bestehen Abstimmungen oder Absprachen, die auf eine faktische Organisation hinweisen.
Darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale vorliegen, die auf eine bewusste Verschleierung oder einen Versuch des Haftungsentzugs durch die faktischen Gesellschafter hindeuten. Dies bedeutet, dass Strukturen geschaffen wurden, die primär der Gläubigerbenachteiligung dienen.
Liegen diese Voraussetzungen vor, nimmt der italienische Kassationshof eine „Super Società di Fatto“ an (vgl. z. B. Kassationshof Nr. 1095/2016 und Nr. 204/2024). Rechtlich wird diese Konstruktion wie eine faktische Personengesellschaft behandelt, in der alle (faktischen) Mitgesellschafter persönlich haften. Diese Figur gewinnt insbesondere in Insolvenzverfahren an Bedeutung, da sie die Möglichkeit eröffnet, die Haftung auf weitere Beteiligte auszudehnen. Wird eine „Super Società di Fatto“ festgestellt, so fallen nicht nur die Vermögenswerte der Gesellschaft, sondern auch das Privatvermögen der faktischen Gesellschafter in die Insolvenzmasse.
Praxisbeispiele
Ein typischer Fall aus der Praxis ist eine Gruppe von Unternehmern, die gemeinsam eine Immobilie entwickelt und vermarktet, ohne eine formelle Gesellschaft zu gründen. Ebenso kann es sich um einen Verbund verschiedener Einzelgesellschaften handeln, die letztlich denselben wirtschaftlichen Zweck verfolgen. Gerade in solchen Konstellationen kommt es häufig zu einer Aushöhlung des sogenannten „Main Contractors“, der als eine Art „Bad Company“ in die Insolvenz geschickt wird, während die wirtschaftlich tragenden Strukturen unangetastet bleiben.
Bedeutung für Gläubiger und Insolvenzverwalter
Die „Super Società di Fatto“ stellt somit eine Möglichkeit dar, die Haftung auf wirtschaftlich solvente Dritte auszudehnen. Gläubiger sollten daher alle Optionen ausschöpfen, um ihre Forderungen bestmöglich abzusichern. Auch Insolvenzverwalter sollten die einschlägige Rechtsprechung zur „Super Società di Fatto“ stets im Blick behalten, da die Identifikation einer solchen Gesellschaft erhebliche Auswirkungen auf die Insolvenzmasse haben kann. Eine Missachtung dieser Möglichkeit könnte zudem zu Haftungsfolgen führen.
Auf der anderen Seite sollten sich Unternehmer der Risiken bewusst sein, die durch wirtschaftliche Kooperationen in dieser Form entstehen können. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung wird es zunehmend schwieriger, sich durch rein formale Gestaltungen einer potenziellen Haftung zu entziehen.
Die „Super Società di Fatto“ ist eine von der italienischen Rechtsprechung geschaffene Figur, die insbesondere im Insolvenzfall eine erhebliche Bedeutung erlangen kann. Sie ermöglicht es, die Haftung auf faktische Gesellschafter auszudehnen, die zwar formal nicht als Gesellschafter auftreten, aber faktisch mit der Gesellschaft verbunden sind. Für Gläubiger und Insolvenzverwalter stellt sie somit ein wichtiges Instrument dar, um die Durchsetzung von Forderungen zu optimieren.
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