Verfahrensdauer in Italien – Gehören jahrelange Prozesse zur Vergangenheit?
Nicht endend wollende Prozesse und lange Schlangen vor den Gerichtssälen. Jahrzehnte alte Verfahren führten nicht nur zu fehlenden Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Justiz, sondern stellen bis heute eine der wesentlichen Hemmschwellen ausländischer Investoren dar. Sind diese Vorurteile noch zeitgemäß?
6-7 Jahre für Kündigungsschutzklagen, 10-15 Jahre für Erbstreitigkeiten, 15-20 Jahre für Nachbarschaftsklagen. All das soll zukünftig der Vergangenheit angehören. Es scheint als meine es die Politik in Italien nun ernst mit der Veränderung der italienischen Justiz. Die italienische Regierung versuchte in den letzten Jahren immer wieder mit einer Reihe von Reformen die italienische Justiz zu modernisieren und vor allem zu beschleunigen. Seit der Regierung Monti im Jahr 2011 haben eine Reihe struktureller Reformen das italienische Rechtsystem erheblich umgekrempelt und in vielen Bereichen an europäische Standards angeglichen. So wurde beispielsweise das gerichtliche Mahnverfahren vereinfacht (siehe hierzu auch „Forderungseinzug in Italien – italienisches Mahnverfahren“) und das außergerichtliche Schlichtungs- Mediationswesen ausgebaut. Ob diese Maßnahmen auf Dauer zu einer Verkürzung der Proessdauer führen wird, muss die Zukunft noch zeigen.
Die Zahlen aus 2015 zur Prozessdauer in den einzelnen Gerichten und Regionen deuten allerdings auf einen positiven Trend hin. Gerade die Reformen hin zur Digitalisierung des Gerichtsverfahrens (siehe hierzu auch „Der digitale Prozess in Italien“) sowie einer stringenten Strukturierung der Verfahrensabläufe sollten nach Einschätzung vieler Beobachter bereits kurz- mittelfristig zu einer deutlichen Beschleunigung der Verfahren führen. In der Praxis ist dabei zu beobachten, dass beispielweise beim gerichtlichen Forderungseinzug ein rechtskräftiger Titel in 1-3 Monaten erstritten werden kann. Diese Entwicklung stellt insbesondere für Unternehmen eine entscheidende Verbesserung dar, da diese durch die schlechte Zahlungsmoral der eigenen Kunden oftmals selbst in einen Kreislauf der wirtschaftlichen Krise gerutscht sind.
Trotz eines positiven Trends in den einzelnen Bereichen muss auch weiterhin festgestellt werden, dass die Dauer der Zivilprozesse in Italien auch im Jahr 2015 Grund zur Sorge bereiten. Für einen Rechtszug durch alle drei Instanzen muss italienweit durchschnittlich mit einer Dauer von 8 Jahren und 7 Monaten gerechnet werden. Die veröffentlichten Zahlen bringen ferner die großen Unterschiede zwischen Norden und Süden zum Vorschein. Während im Norden nach durchschnittlich 597 Tagen mit einem erstinstanzlichen Urteil gerechnet werden kann, muss man sich im Süden auf knapp 1000 Tage Prozessdauer einstellen, wie die nachstehende Grafik darlegt.
Bei den einzelnen Gerichten stechen insbesondere die Gerichte in Aosta (320 Tagen), Rovereto (327 Tagen) und Cuneo (285 Tagen) positiv heraus. Während die Gerichte in Lamezie Termen (2036 Tagen), Isernia (1720) und Foggia )1595 Tagen) die hinteren Plätze belegen.
Trotz der dargelegten Zahlen besteht Hoffnung, dass sich der eingeschlagene Weg zu einem effizienteren Rechtswesen tatsächlich in der Praxis niederschlagen wird. Viele Veränderungen brauchen sicherlich noch Zeit, um von den Gerichten auch umgesetzt werden zu können. Nach Jahren der Stagnation, scheint zumindest der Wille zur Veränderung bei der italienischen Regierung angekommen zu sein. Ein echtes Fazit kann, wie so oft bei Strukturreformen, wohl erst in einer Rückschau über einen Zeitraum von mehreren Jahren getroffen werden. Es bleibt die Hoffnung, dass die bisherigen positiven Anzeichen nur ein erster Schritt hin zu einem modernen und effizienten Justizwesen sein werden.
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